„Streichel mich! Jetzt!“

Vor ein paar Tagen sprang die Mi plötzlich auf meinen Schreibtisch, buffte ihren gegen meinen Kopf und forderte lautstark eine Kuscheleinheit. Dachte ich. Aber wie sehr ich die Katze auch streichelte: es schien nicht das Richtige zu sein. Auf die Frage nach ihrem eigentlichen Anliegen erntete ich nur einen anklagenden Blick und ein langgezogenes „Miaaaau!“ Das Katzenmutterherz schaltet bei derartigen Tönen unverzüglich in den Sorgenmodus, und ich stand auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Offensichtlich erleichtert, sprang die Mi vom Tisch und watschelte vor mir her durch die Wohnung, ohne ihr Forderungskonzert einzustellen. Hin und her ging es, immer wieder hin und her – jedoch ohne Lösung in Sicht.

Manchmal stelle ich mir vor, wie meine Nachbarn auf der anderen Straßenseite am Fenster lehnen, uns betrachten und den Kopf schütteln. Da tappst mit erhobenem Haupt eine kleine brüllende Plüschkugel durch die Wohnung und ein Mensch tappst, verzweifelt gestikulierend und auf die Kugel einredend, hinterher. Vom Wohnzimmer in die Küche, von der Küche ins Schlafzimmer, vom Schlafzimmer zurück ins Wohnzimmer. Zwischendurch stolpert der Mensch über die Katze, weil diese plötzlich stehen bleibt und einen vorwurfsvollen Blick über die Schulter wirft, jedes Mal von einem noch jämmerlicheren „Miau!“ begleitet. Ich kann Ihnen versichern: als Katzenmutter fühlt man sich in diesem Moment äußerst unzulänglich und unfähig – und nichts anderes vermitteln einem die zunehmend genervten Blicke der Katze.

Futter im Napf – nicht das Richtige. Mehr Futter im Napf – auch nicht das Richtige. Kuscheln – falsch. Spielen! …. Nicht jetzt. Verlorene Katzenbälle unter dem Kleiderschrank hervorzaubern – völlig uninteressant. Auf potentielle Schmerzen abtasten – lächerlich, sofort loslassen. Katzenklo reinigen – nett, kann man eben mal schnell ein frisches Häufchen rein machen. Und dann weiterbrüllen.

Im Endeffekt zog sich das Spektakel in Intervallen über etwa zwei Stunden hin, die ich abwechselnd am Schreibtisch und hinter der Katze herlaufend verbrachte.

Bis mich ein spontaner Geistesblitz rettete: ich ging, dicht gefolgt von der Mi, ins Bad und zog den Katzenkamm aus dem Regal. Schlagartig wurde aus dem Brüllen ein Schnurren und Lira-Mi kippte wie ein auf Knopfdruck gefällter Baum auf den Fliesenboden, bereit zum Kämmen.

Darauf hätte ich auch gleich kommen können?!? Natürlich – wenn die Madame in ihrem bisherigen Leben nicht immer einen großen Bogen um jede Bürste gemacht hätte. „Kämmen ist doof und ziept!“, hätte sie sicher jedem mitgeteilt, der sie gefragt hätte.

Willensschwache Personen sollten sich ein Beispiel an einer Katze nehmen. Diese ist jederzeit bereit, nicht nur ihre Wünsche (alias Befehle) deutlich zu machen und lautstark zu artikulieren. Nein, sie erfindet sogar ganz spontan die ausgefallensten Wünsche, nur weil es solchen Spaß macht, den heimischen Menschen schwitzen zu sehen.

Öffne mir die Tür- sofort! Lass mich raus – sofort! Lass mich rein – sofort! Streichel mich – sofort! Futter – sofort! Lass mich wieder rein – sofort!

Dabei ist es unerheblich, ob die Katze das Gewünschte wirklich will. Primär geht es ihr darum, den Gehorsam ihres Menschen auszutesten und sich ihrer eigenen Wichtigkeit zu vergewissern. Ist die Tür einmal geöffnet, schreiten Madame oder Monsieur nicht etwa hindurch, nein – in gut 50 Prozent aller Fälle lässt sich die Fellnase vor der Tür nieder und putzt sich erst einmal teilnahmslos eine Pfote, als sei gar keine Tür da. Aber wehe, man erdreistet sich, die Tür wieder zu schließen – dann geht der Spaß von vorne los und die Samtpfote tobt, als sei sie bereits seit 30 Jahren hinter genau dieser Tür eingesperrt. Idealerweise handelt es sich bei der Tür um die Haustür und die Außentemperaturen liegen bei minus 20 Grad.

Dennoch ist es generell besser, auf die manchmal recht vehementen Forderungen einer Katze einzugehen. Denn tun wir es nicht, warten die Samtpfoten mit einem ansteigenden Repertoire von Druck- und Vergeltungsmaßnahmen auf. Hierbei appellieren die Stubentiger ganz bewusst an unsere materiellen Verlustängste:

Wenn Lautstärke allein nicht ausreicht, kann man wahlweise Stifte vom Tisch werfen, eine Blumenvase umkippen oder am neuen Sofa kratzen. Ein aus Protest angehobenes beziehungsweise zerkratztes Stück Teppich vor einer Tür ist ebenfalls sehr aussagekräftig. Im schlimmsten Fall zwingt die Sturköpfigkeit des Menschen den kleinen Mitbewohner zu drastischeren Maßnahmen: eine gut platzierte Pfütze auf dem Bett oder in der Sporttasche macht sehr deutlich, dass man eine Katze überaus ernst nehmen und definitiv nicht warten lassen sollte.

Katzen kämpfen mit harten Bandagen, und so ergeben wir uns lächelnd in unser Sklavendasein. Halb so schlimm, wenn wir eigentlich lieber in Ruhe ein Buch lesen würden, anstatt 20 mal abwechselnd die Vorder- und die Hintertür des Hauses zu öffnen.

Übrigens fordert Lira-Mi jetzt regelmäßig ihre Spa-Einheit mit Fellpflege ein. Gerade tappst sie wieder ins Bad – ich gehe mal lieber mit und hole den Kamm.

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